thermodynamik alles 2

Thermodynamik gegen Rechts.

So, jetzt aber: All denjenigen, die sich gerade mal wieder gegen Überfremdung und Vermischung erhitzen, gegen Vermischung von Kultur, von Sprache, von Herkunft, von Schwarzbrot und Hummus, all denen sei hiermit gesagt, dass sie sich in ihrer Wut etwa nicht gegen die Liberalen oder gegen die sogenannten Volksparteien oder gar die Merkel auflehnen (Moment, der Satz geht noch länger), sondern, aufgepasst, gegen die Physik höchstpersönlich, genauer gesagt, gegen das Zweite Thermodynamische Gesetz.
 
Punkt.
 
Das zweite Thermodynamische Gesetz, oder auch der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik, besagt, dass jedes Mal, wenn sich Materie in Energie verwandelt, ein Teil dieser Energie nicht mehr verwendbar sein wird und sich so die Unordnung in der Umwelt vergrößert. Und das Maß für den Grad der Unordnung nennen wir Entropie. Dazu später mehr. Und damit sich Materie in Energie verwandelt, müssen wir gar nicht erst ein Holzscheit in den Ofen legen und auch keinen Motor anlassen. Das passiert in jedem Augenblick unseres Daseins von ganz alleine – angetrieben vom unstillbaren Durst des Universums nach Homologisierung: dem Drang, instabile Zustände auszugleichen.
 
Öffnet man in einem geheizten Raum das Fenster und draußen ist es kalt, so drängt die Temperatur nach Ausgleich: Drinnen wird es kalt. Und tatsächlich wird es im ganzen Universum auch ein ganz winziges bisschen wärmer. Ein Teil der Energie wird unbrauchbar und erhöht die Entropie, die Unordnung im Universum. Gießt man Milch in den Kaffee, bleiben die Flüssigkeiten nicht sauber getrennt, sondern streben nach Vermischung. Bedauerlicherweise brachte dieser Umstand nicht nur den Caffélatte, sondern auch den Latte Macchiato zutage, oder wie man auch mancherorts sagt: Lattematschiato. Stichwort Sprache: Vermischung par excellence! Es gibt sie gar nicht, die Deutsche Sprache. Sie ist und war immer ein Kuddelmuddel aus tausenderlei Einflüssen, eine interkulturelle Emulsion. Brauchtümer, Musik, Kunst: dito. Nichts rein, und schon gar nichts rassig.  Auch und vor allem die Steckdose verdanken wir dem Zweiten Thermodynamischen Dingsda: energetisch geladene Teilchen streben nach Ausgleich und wandern durch die Leitung. A propos wandern: Die Migration ist ein so alter Hut wie das Universum selbst. Wie die Energie, so strebt auch der Mensch seit jeher nach Ausgleich. Hier Hunger, dort Happa? Nichts wie rüber! Hier Öde, dort Arbeit? Landflucht! Dort Krieg, hier Frieden? 2015!
 
Physikalisch gesehen strebt alles durch Vermischung nach dem Zustand der Stabilität. Instabile Systeme sind reaktionsfreudig, stabile Systeme sind reaktionsunfreudig. Der denkbar instabilste Zustand ever war einmal der Urknall, seitdem dehnt sich der Kosmos aus und alles reagiert sich ´nen Wolf, verklumpt, findet und vermischt sich. Bis irgendwann einmal auch der letzte Fisch gefangen, und der letzte instabile Zustand ausgeglichen ist, erstarrt alles in totaler Bewegungslosigkeit, da es dann keinen Grund mehr geben wird, dass sich etwas bewegt. Dann ist die Stabilität am größten und die Unordnung (Entropie), so paradox das klingen mag, zugleich am höchsten. Pikant: Der Grad der höchsten Unordnung ist zugleich der stabilste Zustand. Keine gute Nachricht für Eltern, die ihre Kleinen zum Aufräumen bewegen wollen.
 
Auch keine gute Nachricht für diejenigen, die ihre Identität sauber filetiert in Tupperware verpackt aufbewahren und vor Kontamination schützen wollen. Vergeblich. Es ist so, als wolle man die sich im Cappuccino ausbreitende Milch daran hindern wollen, mit den Kaffeemolekülen rumzumachen.
 
Natürlich ist das Unvermeidbare nicht unbedingt immer auch das Wünschenswerte. Aber immerhin ist es unvermeidbar. Schade finden kann man es, dass sich Sprachen vogelwild vermischen, so dass am Ende alle eine Sprache sprechen. Schade, dass der Einzelhandel stirbt und wir am Ende alle weltweit bei Zara und Zalando einkaufen. Schade, dass der San Daniele Schinken an der entropiefördernden EU Politik an Geschmack verliert. Schade, dass sich Brauchtümer nicht erhalten und zum christlichsten aller Feste möglicherweise einmal heidnische Fruchtbarkeits-Symbole gereicht werden. Brrr!
 
Schön und gar nicht schade aber, dass die physikalisch verordnete Homologisierung dazu führt, dass es nicht nur Schwarz und Weiß gibt. Nicht nur m/w, sondern auch m/w/x. Nicht nur arm und reich, sondern auch was dazwischen. Man kann Trump und Kurz und Orban und Höcke heißen und sich dagegenstemmen, aber Grenzen werden verschwinden, Menschen werden wandern, Differenzen werden sich ausgleichen, Sprachhürden werden verschwinden und aus Kaffee und Milch wird leckerer Milchkaffee.
 
Wie ich eigentlich drauf komme? Nun, nicht von alleine. Ich stieß beim Ausmisten auf ein Lieblingsbuch: „Il dubbio“ (Lob des Zweifels) von Luciano de Crescenzo. Dort steht es geschrieben, zum Nachlesen empfohlen. Seinerzeit war allerdings noch vom Cappuccino die Rede, nicht vom Latte Macchiato. Gute alte Zeit!

(Illustration: Desna Marleen Wackerhagen)


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